Zwei argentinische Patres berichten über den Alltag am Rande der Hölle…

P. Luis Montes und P. Jorge Cortés sind gemeinsam verantwortlich für eine Bagdader Pfarre. Ihr Alltag ist von sehr häufigen Attentaten bestimmt. Und sie leben nur einige Kilometer von dschihadistisch besetztem Gebiet entfernt. Warum haben sie sich trotz allem zum Bleiben entschieden?

 

iraqSeit zwei Monaten bombardieren die USA und ihre Verbündeten systematisch Teile des Irak mit dem Ziel, die ISIS-Schreckensherrschaft einzudämmen und zurückzudrängen. Aber wie in jedem bewaffneten Konflikt trifft es meist friedliebende Zivilisten am härtesten.
Entgegen der weitverbreiteten Hoffnung mündete das Ende der Diktatur Saddam Husseins nicht in eine Zeit des Friedens, den das irakische Volk so sehnsüchtig herbeiwünschte. Zu oft wird heute vor allem die christliche Minderheit vor eine traurige „Wahl“ gestellt: Flucht, ohne sich noch einmal nach dem Zuhause umzudrehen – oder Tod durch Ermordung. Der neu aufgeflammte religiöse Fundamentalismus hat schnell dazu geführt, dass „Christsein“ an und für sich schon ein hohes Risiko darstellt. Und alles läuft darauf hin, dass die weitere Region bald alle ihre Christen hinweggefegt haben wird…

Seit der sogenannte “Islamische Staat” die Bühne betrat, eine Gruppe, die Brutalität und grausamstes Vorgehen auf ihre schwarzen Fahnen geschrieben hat, sind Christen in nie da gewesenen Schüben emigriert. Christliche Zusammenkünfte, Sakramente und Liturgien werden jetzt in aller Heimlichkeit gefeiert, um Demütigungen und direkter Bedrohung zu entgehen. Inmitten dieser Alptraumsrealität, der jeder normale Mensch so schnell wie möglich zu entfliehen versucht, sind zwei argentinische Patres fest entschieden, zu bleiben und dem irakischen christlichen Volk zu dienen: hier, und auch mit dem Risiko, das eigene Leben zu verspielen. Luis Montes und Jorge (Georg) Cortés, Mitglieder des Institutes des Menschgewordenen Wortes (IVE), einer Ordensgemeinschaft argentinischen Ursprungs, deren Ziel es ist, Priester in die gefährlichsten Gegenden der Welt zu schicken. Cortés kommt aus San Luis, Montes ist aus der Hauptstadt Buenos Aires. Die beiden kamen 2010 in den Irak.
„Wir fühlen uns beschenkt, dass wir diese Christen betreuen dürfen“, sagten sie in einem kürzlich ausgestrahlten Interview via Email. Aus ihren Aussagen wurden ihre tiefen religiösen Überzeugungen deutlich, ihr klarer Einblick in die politischen Verhältnisse und eine Stärke und „Männlichkeit“, um die sie all jene beneiden würden, die nur die Sprache der Waffen kennen.

–Wie ist die Lage gegenwärtig im Irak? Befürchten Sie einen Einmarsch des „Islamischen Staates“ in Bagdad?
–Die Lage ist ziemlich unverändert. Leider ereignen sich Attentate weiterhin tagtäglich. Seit ISIS den Norden des Landes erobert hat, hat sich die Stadt richtiggehend verschanzt. Angeblich kommt es in nächster Nähe der Stadt zu Kämpfen, aber die Menschen wirken nicht nervöser als sonst.
–Wie viele Christen leben noch im Irak?
–Vor der Invasion 2003 gab es ca. eineinhalb Millionen Christen im Land. Heute? Vielleicht dreihunderttausend. Aber der Exodus ist noch nicht abgeschlossen. Wenn nichts getan wird, besteht die ernste Gefahr, dass das Christentum hier regelrecht ausradiert wird.
–Welchen Rat geben Sie christlichen Familien? Zu bleiben? Sich der regulären irakischen Armee anzuschließen?
–Wir geben keine Ratschläge in dieser Hinsicht. Wir glauben, dass die Leute selbst wissen, was das beste ist. Das Problem ist nur, jeder Christ, der geht, hinterlässt eine noch schwächere und verwundbarere Gemeinschaft. Und die Last werden die tragen, die nicht weggehen können. Warum wäre ein Verschwinden des Christentums aus der Region so negativ? Erstens würde das multikulturelle Element verloren gehen, das so oft geglückte Zusammenleben verschiedener Gruppen; zweitens ist die Präsenz des Christentums hier so wesentlich, weil es von Vergebung spricht und selbst Vergebung schenkt.
–Spüren Sie die Nähe von Papst Franziskus und von der ganzen Kirche?
–Auf jeden Fall. Der Papst nützt verschiedene Gelegenheiten, die Situation hier zu kommentieren. Er bittet die Christenheit um Gebet, er initiiert vatikanische diplomatische Interventionen, er hat finanzielle Hilfe geschickt und spornt andere an, es ihm gleichzutun. Er meldet sich in den sozialen Kommunikationsmedien, erwähnt uns in Predigten und bei Begegnungen. Er hat auch etliche ausserplanmässige Sitzungen einberufen, zB ein Treffen aller päpstlichen Nuntien im Nahen Osten. Die Tatsache, dass er Kardinal Filoni in Vertretung seiner selbst geschickt hat, zeigt, wie sehr er uns unterstützt. Die Wahl war sehr gut, denn Filoni ist bekannt und geschätzt. Als Nuntius in den Kriegsjahren war er zugleich der einzige Diplomat, der Bagdad nicht verlassen hat.
–Welche Aktivitäten haben Sie in der Pfarre?
–Die selben wie in anderen Pfarren der Welt. Heilige Messen, Predigten und Vorträge; Beichthören, Sakramentenspendung, Katechismus, Erstkommunion- und Firmvorbereitung, Hausbesuche, Unterstützung armer Familien, usw.
Wie in allen Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung muss sich sämtliche Aktivität innerhalb der Kirche oder des Pfarrhauses abspielen, hier muss man besonders vorsichtig sein.
–Wie beurteilen Sie die Roller der Weltmächte bei einer Lösungsfindung?
–Im Grunde genommen sehr enttäuschend. An erster Stelle stehen leider immer eigene Interessen, Wahlkämpfe, erst viel später kommt das so oft zitierte Gemeinwohl der angegriffenen Völker.
–Papst Franziskus ist der Meinung, es sei moralisch erlaubt, den Aggressor zu stoppen. Wie sieht das in der Praxis aus?
–Der Papst hat verlangt, dass die Frage in der UNO diskutiert wird, damit die wirksamsten Mittel ergriffen werden. Kardinal Parolin spricht von einer “multistaatlichen Aktion und einem Gewalteinsatz, der den Angriffen proportional ist”. Dass der Entscheidung eine UNO-Resolution vorausgeht, gibt dem Verteidigungskrieg Legitimität und garantiert ein ausgewogeneres Handeln.
— Glauben Sie, dass es theoretisch möglich ist, mit den Dschihadisten des „Islamischen Staates“ zu irgendeinem Konsens zu gelangen, sei er auch nur minimal?
–Das grausame Vorgehen dieser Gruppe erstickt jede Hoffnung auf Dialog sofort im Keim. Nach der Lehre des ISIS ist ja der Dialog selbst schon abzulehnen. Aber man könnte Druck auf die Weltmächte ausüben, damit sie die Terroristen dazu bringen, ihre Haltung zu ändern. Zugleich ist es enorm wichtig, dass die Welt der irakischen Regierung eine Politik der Einheit und des Konsensus abverlangt.
– Wie verhalten sich die Teilgruppen der muslimischen Bevölkerung, die für den Frieden einstehen und anderen Religionen ihren Platz zugestehen?
–Der Großteil der Iraker ist gegen diesen Wahnsinn. Das Problem ist aber der Faktor Angst. Die meisten Leute trauen sich nicht, laut auszusprechen, was sie denken und noch weniger, irgendetwas zu tun. Erschwerend kommt dazu, dass das Vorgehen des ISIS nicht einstimmig von der islamischen Welt verurteilt worden ist. Einige Staaten haben sich ausgesprochen, das war enorm wichtig. Aber es ist noch viel offen.
– Breitet sich der islamische Fundamentalismus vor allem durch Zwang und Angst aus, oder gibt es Bevölkerungsteile, die ihn aus innerer Überzeugung heraus unterstützen?
–Der Fundamentalismus gewinnt Anhänger, weil sehr viele Menschen frustriert, verwirrt und erschöpft sind. Im Nahen Osten geschehen dauernd ungerechte Dinge, sowohl auf lokaler, als auch auf internationaler Ebene. Das alles treibt Menschen in die Ideologie des ISIS. Der Friede ist „die Ruhe in der Ordnung“. Solange es keine Gerechtigkeit gibt, und vor allem, wenn ungerechte Zustände jahrelang andauern, gewinnen Extremismen an Kraft. Die Leute haben die Nase voll von ungerechten Situationen und wenden sich extremen Lösungen zu. Das war der Grund dafür, warum der ISIS einen Großteil des irakischen Staatsgebietes praktisch ohne Widerstand einnehmen konnte.
— Überlegen Sie manchmal ernsthaft, nach Argentinien zurückzukehren und diesen gefährlichen Ort zu verlassen?
–Schauen Sie, wir dienen diesem Volk und bei ihm wollen wir bleiben solange, bis der Alptraum vorbei ist. Wir sind stolz darauf, dass wir diese Christen mitbetreuen dürfen, die der ganzen Welt zum Vorbild geworden sind.

Originaler Artikel unter: http://www.valoresreligiosos.com.ar/Noticias/dos-curas-argentinos-cuentan-como-es-vivir-a-las-puertas-del-infierno-1441

 

 

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