Interview mit Pater Luis Montes, Priester des Instituts des Menschgewordenen Wortes. ‘Wenn die westliche Welt ab morgen keine Ungerechtigkeiten mehr im Nahen Osten verüben würde, könnte das ISIS-Kalifat einen Großteil seiner Anziehungskraft einbüßen’

Die Patres Luis Montes, IVE und Jorge Cortes, IVE: Missionare des Institutes des Menschgewordenen Wortes im Irak, mit einer Familie von katholischen Pfarrangehörigen in Bagdad
Luis Montes ist Argentinier und Missionsordenspriester, Angehöriger des Instituts vom Menschgewordenen Wort. Seit 18 Jahren leistet er seinen priesterlichen Dienst in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens, wo Katholiken eine verschwindende Minderheit darstellen und sehr oft Zielscheibe und Opfer fundamentalistischer Gewalt werden.
Sechseinhalb Jahre wirkte er im palästinensischen Ortas, in der Nähe von Bethlehem, wo er an der Gründung eines kontemplativen Klosters mitarbeitete. Danach folgten ein Jahr in Nordjordanien und sechs in Alexandria, Ägypten.
Sein derzeitiges Einsatzgebiet ist eine Pfarre in Bagdad, der Hauptstadt des Irak, einem Land, das nach der amerikanischen Invasion eine zehnjährige Nachkriegsphase mit täglichen terroristischen Anschlägen durchlebt und in dem Christen zwischen den Auseinandersetzungen von Sunniten und Schiiten zerrieben werden. Im vergangen Jahr ist die ohnehin prekäre Situation durch das blutige Vorpreschen der Kampftruppen des sogenannten Islamischen Staates noch schlimmer geworden. Im vorliegenden Interview mit ZENIT berichtet Pater Luis Montes von den grauenhaften Prüfungen, durch die das irakische Volk derzeit gehen muss. Von den 300.000 Gläubigen, die sich noch im Land aufhalten, sind 200.000 Flüchtlinge. Viele erlebten die Verfolgung am eigenen Leib – zu viele sind auf brutalste Weise vor den Augen ihrer Verwandten hingerichtet worden.
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Worin liegt Ihrer Meinung nach die Hauptursache für die Instabilität im Nahen Osten?
— P. Luis Montes: Es ist der Machthunger der Herrschenden. Derer im eigenen Land, die die ihnen Anvertrauten systematisch belügen und ausbeuten und derer aus dem Ausland, die in der Region investieren und hier tätig sind, weil sie strategische und wirtschaftliche Interessen verfolgen.
Wie leben Minderheiten? Und vor allem: in welcher Situation befinden sich heute die Christen?
— P. Luis Montes: Es ist dramatisch. Unter Druck gesetzt, verfolgt, auf brutale und ausgeklügelte Weise ermordet, schutzlos Gewalt ausgesetzt, von denen verlassen und vergessen, die etwas verändern könnten. Von den 1,5 Millionen Christen, die vor dem Irakkrieg hier gelebt haben, sind heute kaum 300.000 übrig..
Kann das Christentum in der Region überleben? Besteht eine Möglichkeit, den Exodus der christlichen Bevölkerung zu stoppen?
— P. Luis Montes: Ich glaube ja, wenn man dringend etwas Drastisches tut. Als erstes muss gezielt und in genügenden Mengen humanitäre Hilfe geschickt werden. Dann muss dem Islamischen Staat die externe Finanzierung abgeschnitten werden. Weiters ist die irakische Regierung zu unterstützen und zu zwingen, eine echte Politik der Einheit zu starten. Und innerhalb der UNO müssen Entscheidungen getroffen werden, wie man diese menschenverachtenden Terroristen stoppen und die Menschen zurück in ihre Häuser und Dörfer bringen kann. Das Problem ist, dass das Entscheidungen sind, die Mut verlangen und solche will keiner anpacken. Daher einigt man sich auf schwammige Erklärungen und Zwischenlösungen die eigentlich nichts lösen und Tür und Tor zu weiteren Gräueltaten in der Zukunft öffnen.
Was will der ISIS eigentlich?
— P. Luis Montes: Ganz einfach: das Kalifat in allen muslimischen Ländern etablieren. In zweiter Phase auch in den Ländern, die irgendwann in der Geschichte unter dem Einfluss des Islam standen. Und in der Endphase auf der ganzen Welt…
Besteht die, wenn auch begrenzte, Aussicht auf Verständigung mit den Dschihadisten des selbsternannten Kalifats?
— P. Luis Montes: Für sie ist schon der Begriff “Dialog” eine Häresie. Sie lehnen ihn explizit ab. Aber wenn man aufhören würde, im Nahen Osten permanent Ungerechtigkeiten zu begehen, dann würde das Kalifat viel von seiner Anziehungskraft einbüßen. Man sieht deutlich, dass viele Anhänger der Extremisten nach erlebten Enttäuschungen und Demütigen und dem Gefühl der Ohnmacht plötzlich mitgerissen werden.
Wie schlägt sich der Irakkonflikt im Westen nieder?
— P. Luis Montes: Dieser Konflikt bringt der ganzen Welt mehr Unsicherheit. Das wird man mit der Zeit deutlicher sehen.
Können Sie uns von den Leiden und den kleinen Freuden der Christen im Irak etwas erzählen?
— P. Luis Montes: Die Leiden kommen vom Bösen im menschlichen Herzen und man spürt es. Brutalität und Terror werden nicht nur „praktiziert“ sondern richtiggehend reklamiert, als Propagandamittel: öffentliche Kreuzigungen, Köpfungen, Folter, Vergewaltigung, Entführungen, Verwüstungen… Unser Volk leidet unbeschreiblich. Die Freuden… sie kommen von der Kraft, die Gott schenkt und das führt dazu, dass dieses Volk der ganzen Welt als Beispiel dient. Wir sind Zeugen, wie sich Ereignisse aus der Frühchristenzeit mit ihren Verfolgungen wiederholen. Hier ersteht auf, was im 2. Vatikanum beschrieben wird: «Die Kirche “schreitet zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin” und verkündet das Kreuz und den Tod des Herrn, bis er wiederkommt (vgl. 1 Kor 11,26). Von der Kraft des auferstandenen Herrn aber wird sie gestärkt, um ihre Trübsale und Mühen, innere gleichermaßen wie äußere, durch Geduld und Liebe zu besiegen und sein Mysterium, wenn auch schattenhaft, so doch getreu in der Welt zu enthüllen, bis es am Ende im vollen Lichte offenbar werden wird». (Konst. LG, 8).
Wurde der Glaube der Christen Ihrer Meinung nach durch die Verfolgung bestärkt oder hat er Risse bekommen?
— P. Luis Montes: Beides. Der durchlittene Glaube ist erst der Glaube, der Kraft spendet. Man spürt hier etwas ähnliches wie auf Kalvaria: Gottes Niederlage ist in Wirklichkeit der große und bleibende Sieg.
Wie sieht die Situation derzeit in Bagdad aus?
— P. Luis Montes: Die Leute glauben, dass ISIS nicht mit Truppen in die Hauptstadt eindringen kann, weil die Stadt gut beschützt wird. Es gibt tendenziell mehr Attentate – die gibt es seit der amerikanischen Invasion permanent -, aber das Leben geht eigentlich, sagen wir „normal“ weiter. Wovor wir aber am meisten Angst haben ist, dass sich der Hass verstärkt und dass es zu einem offenen Bürgerkrieg kommt…
Denken Sie manchmal daran, den Irak zu verlassen?
— P. Luis Montes: Mein Mitbruder und ich fühle uns von Gott in dieser Mission gerufen und wir würden sehr gern bei diesem Volk bleiben, das in unseren Augen jede Art von Hilfe verdient.
Welche Botschaft möchten Sie unseren Lesen mitgeben?
— P. Luis Montes: Das erste ist die Bitte um Gebet. Und dass das, was hier passiert, bekannt gemacht wird. Es muss der Welt ins Bewusstsein gebracht werden, dass in der Region ein Genozid von statten geht. Man muss die Christen dazu bringen, mehr zu beten. Auf unseren Webseiten https://www.facebook.com/FreundedesIrak und http://freundedesirak.verboencarnado.net/ kann man Nachrichten über das Martyrium nachlesen, dass sich vor unseren Augen abspielt. Die Leser können in Form von Kommentaren Unterstützung geben, die wir gerne an unsere Gläubigen weitergeben. Die sozialen Kommunikationsmittel bergen auch viel Gutes in sich: Heutzutage ist es so einfach, Informationen zu verbreiten.
Wer irgendwie kann, den laden wir ein, per Internet den folgenden Link zu besuchen: https://www.indiegogo.com/projects/relief-fund-for-persecuted-christians-in-iraq. Wer nicht viel spenden kann, möge einen kleinen Betrag spenden. Auch mit „wenig“ kann viel erreicht werden! Derzeit leben 200.000 der 300.000 Christen dieses Landes als Flüchtlinge und sind abhängig von Hilfe. Insgesamt rechnet man ca. 1,6 Millionen Flüchtlinge. Der Winter steht vor der Tür und es gibt so viel Elend!
Und zu guter Letzt eine persönliche Bitte: seien Sie freundlicher und liebevoller zu den Menschen, die Ihnen am nächsten stehen. Die Schrecken, die hier passieren, haben ihre Wurzeln im Hass und nur die Liebe ist stärker als der Hass. Liebe besitzt eine unbesiegbare Kraft, weil Gott die LIEBE ist. Wer aktiv helfen möchte, kann das tun, indem er Gott und seinem Nächsten mehr Liebe entgegenbringt.
(10. November 2014) © Innovative Media Inc.
http://www.zenit.org/es/articles/misionero-en-irak-pedimos-oraciones-y-que-den-a-conocer-el-genocidio