Pater Luis Montes berichtet als direkter Augenzeuge vor Ort über die barbarischen Handlungen des sogenannten “Islamischen Staates” und über den Märtyrertod, den Christen im Irak erleiden. “Ich bin sicher”, sagt er, “dass diese Menschen in die Geschichte eingehen werden”.
Bis zum Schluss versuchte Christina, die als Zwölfjährige in der Kirche unmittelbar nach Beginn der hl. Liturgie erschossen wurde, ihre schwangere Mutter zu beruhigen.
Christinas Märtyrertod
Christinas Verhalten ist ein besonders ausdrucksvolles Zeichen für die Glaubensstärke der irakischen Christen. Die Geschichte ihres Märtyrertodes ist schon „alt“: er geschah vor 4 Jahren. In Zeiten wie diesen sind 4 Jahre im Irak eine lange Zeit, denn es folgen dauernd neue Märtyrertode. Den Begriff „Märtyrer“ verwenden wir hier im weiten Sinne des Wortes. Erst die Autorität der Kirche bestimmt, ob man einen Verstorbenen wirklich als Märtyrer für den Glauben bezeichnen kann. Der vorliegende Fall zeigt beeindruckend die innere Grösse dieses Volkes und dieser Menschen.
31 Oktober 2010. Ein zwölfjähriges Mädchen in Bagdad erinnert seine Mutter: heute ist Sonntag, gehen wir in die Kirche. Sie machen sich auf, ihr Ziel ist Sayidat-al-Nejat, die syrisch-katholische Kathedrale. Mama ist schwanger, sie begleitet ihre große Tochter. Der Rest der Familie bleibt zuhause, weil ein kleiner Bruder krank und Papa in der Arbeit ist.
Als sie zur Kathedrale kommen, verspürt die Mutter Angst. Sie bleibt draußen und betet vor einer kleinen Marienkapelle. Christina ist alleine hineingegangen, und als die Mutter später nachkommt und sie sucht, findet sie ihre Tochter kniend, in einer der vordersten Reihen der Kirchenbänke.
Die Mutter fragt sie, warum sie nicht bei ihr geblieben sei, aber Christina gibt keine Antwort, sie ist in ihr Gebet vertieft. Die Mutter setzt sich neben sie. Die Messe beginnt. Draußen hört man Schüsse und Explosionen. Eine Gruppe von Terroristen bringt die Wächter am Kircheneingang um und bahnt sich den Weg in die Kirche. Dieses Attentat erlangte traurige Berühmtheit. Es wurde zum Beginn des Massenexodus der Christen aus der Hauptstadt.
Die islamischen Terroristen waren mit Maschinengewehren und Handgranaten bewaffnet. Christina wusste genau, was passieren würde. Solche Attentate erschütterten das Land nahezu täglich. Nach Kriegsende – so die landesweite Statistik – wurden durchschnittlich 20 Attentate täglich verübt. Schüsse, Explosionen und Todesopfer wurden zu etwas Alltäglichem, mit dem man rechnen musste.
Als sie die bewaffneten hereinstürmenden Männer sieht, sagt Christina: „Mama, du sollst keine Angst haben“. Und noch einmal: „Mama, bitte, hab keine Angst“. Und sie umarmt ihre Mutter.
Alle Gläubigen müssen nach vorne kommen, befehlen die Männer, und treiben sie durch den Mittelgang zum Altar. Vor dem Altarraum zwingen sie die Leute, sich hinzulegen und öffnen das Feuer. Die erste, die getroffen wird, ist Christina. Die Mutter überlebt, weil eine Frau von hinten tot über sie fällt und sie eine Schicht von erschossenen Menschen bedeckt. Die Schwangerschaft geht ohne Komplikationen weiter, ein Mädchen wird geboren.
Wie kann ein zwölfjähriges Mädchen in akuter Lebensgefahr “einfach ruhig bleiben”? Nicht nur das. Sie flößt durch ihre Stärke ihrer verstörten Mutter Kraft ein. Für mich macht das sehr deutlich, auf welche Art und Weise das irakische Volk sein Leben in diesen dramatischen Augenblicken lebt.
Die Menschen im Irak sind entsetzlicher Verfolgung ausgesetzt, begleitet von kaum vorstellbarer Brutalität. Wir haben es mit Terroristen zu tun, die nicht davor zurückschrecken, 10jährige Kinder zu enthaupten. Die Menschen lebendig begraben, damit ihr Todeskampf länger dauert. Die den abgeschlagenen Kopf eines Kindes auf einen Stab aufspießen und ihn tagelang „ausstellen“, damit er den Überlebenden als abschreckendes Beispiel dient. Die tausende von Frauen entführen und als Sexsklavinnen in andere muslimische Länder verkaufen. Die Menschen kreuzigen…
Die sich selbst als „Islamischer Staat“ bezeichnete Gruppe war es, die das Attentat verübte, bei dem Christina ums Leben kam. Sie war das erste Opfer. Damals war die Gruppe noch kaum bekannt. Diese Gruppe, die in diesen Wochen den Irak verwüstet, die unser Land mit Tod und Grauen erfüllt, holte sich an jenem Herbsttag ihr erstes Opfer, ein Mädchen.
Wer letztendlich in die Geschichte eingehen wird
Wir wissen nicht, wie es ausgehen wird. Wir wissen nicht, ob der Irak geteilt wird. Wir wissen nicht, wie viele Menschen noch sterben werden müssen. Wir wissen nicht, wie viele Jahre „es“ dauern wird, genauso wie wir nicht wissen, ob sich die Internationale Gemeinschaft irgendwann zu einer korrekten Entscheidung durchringen wird können.
Das einzige, was wir wissen ist, dass dieses Mädchen und alle anderen Opfer, die schon vom sogenannten „Islamischen Staat“ Getöteten und Vertriebenen und die noch zu tötenden und zu vertreibenden… – dass im Grunde sie die Hauptdarsteller der Geschichte sind.
Der Name dieser menschenverachtenden Gruppe wird einmal Vergangenheit sein, die Gruppe wird verschwinden, irgendwann wird es sie nicht mehr geben. Aber die, die für Christus gestorben sind, werden anerkannt werden so wie es die Märtyrer der christlichen Frühzeit heute sind. Ihre Geschichte wird in wenigen Jahren weitererzählt werden, sobald Einzelheiten ihres Lebens und Todes bekannt werden. Ihre heroische Haltung wird ans Licht treten. Haben Sie gelesen, wie der Hl. Ambrosius das Martyrium der hl. Agnes beschreibt? Vergleichen Sie es mit dem, was ich Ihnen hier über Christina berichte. Es ist das gleiche.
Es sind diese Menschen, die Gutes tun und sie werden in die Geschichte eingehen. Es sind diese Menschen, die Gottes ewigen Lohn schon erhalten haben.
Auf der anderen Seite, die Menschen die dieser tötenden und wütenden Gruppe angehören, die so stark und unbesiegbar scheint, vor denen die Menschen solche Angst haben, werden eines Tages vergehen, so wie überall auf der Welt Tyrannen und Mörder verschwunden und vergangen sind. Es bleiben uns nur ihre abscheuerregenden Namen erhalten.
Finstere Mächte, denen Menschenleben nichts wert sind
Die Geschichte dieses Mädchens führt uns eindrucksvoll vor Augen, was hier wirklich passiert. Mächte, die nicht den Menschen im Blickfeld haben, für die ein menschliches Leben absolut keinen Wert hat. Sie benützen diese Terroristengruppen für ihre eigenen Ziele. Und unterstützen diese Welle von Terror, Hass, Angst und grauenhafter Unterdrückung.
Und auf der anderen Seite die wahren, die bleibenden Protagonisten. Diejenigen, die von Gott mit der Kraft erfüllt werden, stark bis zum Ende zu bleiben.
Hilfe von allen wird gebraucht – oder: alle können helfen
Die Lage ist und bleibt dramatisch. Wir alle können aber einiges tun, um dem gemarterten Volk zu Hilfe zu kommen. Die Hilfe Gottes ist ihnen sicher, aber sie brauchen und verdienen auch unsere Unterstützung.
Wie immer bitte ich in erster Linie alle um Gebet für diese leidenden Menschen. Das Gebet ist es, das uns verbinden muss. Gebet ist eine machtvolle Waffe. Dank den sozialen Netzwerken gibt es schon hunderttausende Menschen, die unsere Texte lesen und uns ihr Gebet zusagen. Es mag wenig klingen, aber es tröstet das irakische Volk unglaublich, sich von Menschen aus verschiedensten Teilen der Welt begleitet zu wissen.
In zweiter Linie bitten wir Sie alle, weiter zu verbreiten, was hier passiert. Erzählen Sie es den Menschen, mit denen Sie leben und arbeiten, verbreiten Sie es über Ihre Netzwerke. Je mehr Menschen, sich zur Hilfe verpflichtet wissen, umso besser. Manchmal kommt mir vor, als arbeiten wir Christen eifrig vor uns hin, ohne dabei an „das Ganze“, an die anderen zu denken.
Und zu guter Letzt, für alle die irgendwie können: schicken Sie uns materielle Hilfe. Mittlerweile sind es 1,6 Millionen Vertriebene, mehrheitlich Christen, die unsere Hilfe nötig haben. Menschen, die nicht arbeiten können, ganze Familien, die in Zelten, auf der Straße oder unter einer Brücke leben oder sich notdürftig in verlassenen Gebäuden eingerichtet haben.
Sie haben alles verloren. Sie sind auf Essen und Medikamente angewiesen. Wir fürchten uns vor dem Wintereinbruch. Im Nordirak sinken die Temperaturen auf unter Null Grad und es fällt Schnee.
Verschiedene Agenturen organisieren Kampagnen und sammeln Geld. Kirche in Not, die Columbusritter, Asia News, und auch wir mit unserem Blog. Es ist rührend, die Spendenliste anzusehen, mit großen und kleinen Summen. Jemand hat uns 1 Dollar gespendet…
Christen, die ihr Leben geben
Ich habe versucht, Ihnen mit ganz wenigen Beispielen aufzuzeigen, dass die irakischen Christen in diesen Wochen der Kirche Christi das wertvollste geben, das sie besitzen: nämlich ihr eigenes Leben. Diese Menschen, die für ihren Glauben leiden und sterben, arbeiten gemeinsam mit uns am Aufbau des Gottesreiches, auf eine Weise, die wir erst im Jenseits voll und ganz erkennen werden. Deshalb der Aufruf an uns alle, dass wir ihnen ebenfalls beistehen, in erster Linie im Gebet, und auch durch andere Gesten der Hilfsbereitschaft.
Wie kann man konkret verfolgten Christen im Irak helfen?
http://freundedesirak.verboencarnado.net/wie-kann-ich-helfen/